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  Zeit, wohin treibst du?

 

 

Eine Betrachtung der Bundesrepublik, von der Geburt bis zur Gegenwart, aus der Sicht eines einfachen Arbeiters.

Das Land lag in Trümmer. Das Elend war groß. Überall war Hunger und Not. Nirgends ein Licht, nirgends ein Weg, dunkel und grau die Zukunft.

Dann ein Gebilde am Himmel, hell und klar. Einer Göttin gleich, rein und unschuldig aufgestiegen aus Schutt und Asche breitete es die Arme über das Land und sagte: Schaut mich an, ich bin die junge Demokratie und will euch den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Schenkt mir euer Vertrauen.

Das hört sich gut an, sagte das Volk auf der Straße. Aber wer bist du,
Demokratie?

Die Demokratie krauste die Stirn. "Wie soll ich es erklären? Ich bin kein König, ich bin kein Despot. Nein, ich bin die Stimme und der Wille des Volkes; ich stehe dafür, daß ihr in Zukunft durch freie Wahlen selbst die Leute bestimmen könnt, die das Land nach einem Grundrecht regieren."

Das Volk blickte nachdenklich. "Nach einem Grundrecht, was ist das nun wieder?" -

"Nun, das Grundrecht ist sozusagen die Mutter aller Gesetze. Es stellt die Würde des Menschen an oberste Stelle, schützt Ehe und Familie und garantiert, daß niemand im Lande gegen seinen Willen eine Waffe in die Hand nehmen muß. Aber das Grundrecht sagt auch, daß die Leute, die unser Zusammenleben lenken und steuern, dafür zu sorgen haben, daß alle Menschen, die in Lohn und Brot stehen, gerecht behandelt und bezahlt werden."

"Ja, wenn es so ist", sagte das Volk, "wenn die Leute, die wir wählen, uns ein derart geschriebenes Grundgesetz garantieren, dann laßt uns fortan als Demokraten zusammen stehen und die Probleme des Alltags gemeinsam lösen."

Im gleichen Atemzug jedoch meldete sich die Wirtschaft zu Wort und sagte zur Demokratie: "Das ist alles doch nur ein Gedankenspiel, das auf sich selbst gestellt nichts erreichen kann. Du, meine liebe Demokratie brauchst, wenn du bestehen willst, eine starke Wirtschaft an deiner Seite. Ich bin bereit dir zu helfen.

Die Demokratie fühlte sich geschmeichelt. "Gut", sagte sie, "deine Worte haben Sinn, deine Hilfe soll mir willkommen sein. Zusammen sind wir stark." -

"So ist es recht", sagte die Wirtschaft. Aber bedenke, die Wirtschaftsmühle läuft nach eigenen Gesetzen. Gebe mir darum eine freie Hand, und du wirst alsbald Glanz und Ansehen ernten.

Abends stiegen beide in das gleiche Bett. Die Demokratie verlor ihre Unschuld. Die 'Freie Marktwirtschaft' war gezeugt.

Die Jahre gingen ins Land. Wo lange Zeit dunkle Ruinen vor sich hingedöst hatten, entstanden neue Werke. Der Handel blühte. Mehr und mehr Menschen fanden Arbeit und Brot. Schon bald wurden die Arbeitskräfte knapp, fremde Arbeitssuchende strömten in das Land. Was die beiden in einer kurzen Zeit erreicht hatten, konnte sich sehen. Die Staatskasse war gefüllt, der Juliusturm barg große Reverven. Alle Welt staunte, die Zeitungen berichteten weltweit über das Wirtschaftswunder.

Die Zeit verging. Das gemeinsame Kind, die 'Freie Marktwirtschaft', kam in die Flegeljahre. Mit den Grundgedanken der Alten konnte sie nichts anfangen. "Die Demokratie, ist doch nur ein Strohfeuer, das sich von Fantasien nährt", sagte sie. "Wo soll es hinführen, wenn das gierige Volk regiert und ständig einen größeren Anteil vom Gewinn, des erwirtschafteten Kapitals fordert. Das ist doch gegen alle Regeln, die das gesellschaftliche Zusammenleben bisher gelenkt und gesteuert haben."

Nein, wollte sie, die 'Freie Markwirtschaft' in Zukunft bestehen, mußte sie so schnell wie möglich die Macht an sich reißen und mit starker Hand das Parlament regieren. Jeder andere Gedanke war dumm und idealistische Träumerei.

Wie aber sollte sie ihre Pläne verwirklichen? Sie grübelte Tag und Nacht. Doch welchen Weg sie auch beschreiten wollte, stets stand ihr die Demokratie im Wege.
Schon spielte sie mit dem Gedanken die Demokratie zu erschlagen und heimlich zu begraben. Doch dazu fehlte ihr noch die nötige Kraft.

Dann ein Licht. Ein Gedanke keimt in ihr wie ein Saatkorn. Er wächst, treibt Knospen, Blüten und Blätter, setzt Frucht an und wird reif. Sie wollte der Demokratie heimlich eine Schlinge um den Hals legen und sie langsam zu ziehen.

De Plan war geschmiedet. Die Demokratie wurde unauffällig erdrosselt. Danach stieß sie die freie Wirtschaft vom Thron, setzte sich selbstgefällig darauf und lachte: Die Demokratie ist tot. Nun brauche ich Helfer, die hören was ich sage, die tun was ich will. Damit ich als 'Freie Machtwirtschaft' das Land meinen Willen aufzwingen kann.

Sie sah sich um. Alle Parteien im Lande gierten nach Geld. Das war gut, und paßte nahtlos in ihre Pläne. Sie hatte große Summen auf schwarze Konten. Damit fütterte sie die Parteien bis sie ihr aus der Hand fraßen - zahm wie abgerichtete Papiertiger. Die Leithammel der Parteien wurden zudem als gut bezahlte Nichtsnutze in die Aufsichtsräte großer Kapitalgesellschaften berufen, und die Zuarbeiter an den Schalthebeln der gesellschaftlichen Entwicklung erhielten als Kostgänger der Wirtschaft ein beachtliches Zubrot.

Nun, wo die 'Freie Machtwirtschaft' ihre Handlanger an allen Schaltstellen der Politik postiert hatte, ließ sie zugleich ihre Muskeln spielen. Das Grundrecht wurde entkräftet, und die Rechte des kleinen Mannes wurden die Zähne gezogen - einer nach dem anderen. Die Parlamentarier aber, die noch immer den Rechtsstaat und die freie Marktwirtschaft über den grünen Klee lobten, trug sie als Aushängeschild vor sich her. Und das war sehr wichtig, der Schein einer achtenswerten Demokratie mußte erhalten bleiben. Er war ein Schutzschild, hinter dem die 'Freie Machtwirtschaft' in aller Ruhe täglich neue Untaten ausbrüten konnte.

Die Wirtschaftsmühle dreht sich. Die Technik beginnt mehr und mehr Arbeiter aus Lohn und Brot zu stoßen. Die 'Freie Machtwirtschaft freut sich. Nun kann sie allein den Weg bestimmen, den die Arbeiter im Lande zukünftig zu gehen haben. Im Handumdrehen schiebt sie rücksichtslos viele tausend Arbeitskräfte auf ein Abstellgleis. Wer wieder Lohn und Brot will, darf rechtlos als Leiharbeiter fortan für einen Billiglohn schuften. Andere, hauptsächlich Frauen, Verkäuferinnen, werden nur noch auf der 400,- Eurobasis beschäftigt. Wer aber Pech hat, vielleicht auch ein wenig kraftlos ist, der muß von Hartz IV leben und darf sich ein Euro pro Stunde hinzuverdienen. Selbst Schuld wird gesagt, das beruhigt das Gewissen.

Die 'Freie Machtwirtschaft' hingegen jubelt. Unter dem Deckmantel des Rechtsstaats und der Demokratie fälschen die Bosse der Konzerne die Bilanzen, um das eigenen Gehalt hochzuschrauben. Andere nutzen die Stunde und erhöhen ihr Einkommen selbstgefällig, oder schieben sich gegenseitig die Millionen zu. Und selbst wenn sie nur Murks gemacht haben, lassen sie sich ihr wertloses Dasein noch vergolden.

Gleichsam schwimmen die Vorstände von Banken und Sparkassen in ihrem Fett. Die Landesbanken legen Anleihen auf, die kaum Erträge bringen. Die Sparkassen verkaufen sie, das in sie gesetzte Vertrauen der Kunden mißbrauchend, und kassieren dafür eine fette Provision.

Zugleich läuft das Schuldenfaß über, die Staatskasse ist leer. Wir müssen sparen dröhnen die Politiker. Da aber der Zeitpunkt nach der Wahl geradegünstig ist, greifen sie freudíg in die Staatskasse und stecken sich die Taschenvoll, daß dem kleinen Mann die Augen tränen und er die Welt nicht mehr versteht.

Ein großer Teil dieser Gelder aber, die sich die 'Freie Machtwirtschaft' und die Parlamentarier auf die eigenen Konten geschaufelt haben, landet auf dem Kapitalmarkt und wird auf Konten in Lichtenstein, in Luxemburg und in der Schweiz gelagert. Wer aber als Neureicher Anerkennung sucht, der bezahlt auf Sylt für einen Quadratmeter Grund mehr Geld, als ein Leiharbeiter in drei Monaten verdient.

Heute hört und liest man täglich, daß die Armut im Lande größer wird, und daß immer mehr Kinder nicht mehr satt zu essen haben. Auch daran erkennt man deutlich, daß jedes Stück Papier, welches das Zusammenleben im Lande neu regeln soll, die Handschrift der 'Freien Machtwirtschaft' trägt. Und daraus erwächst die Frage, ob die Parlamentarier wissen, die sich zudem noch Demokraten nennen, daß sie den Amtseid, den sie einmal geleistet haben, auf diese Weise zu einer wertlosen Litanei verkommen lassen.

Aber, und da können die hohen Herren nun reden was sie wollen, gerade die Gelder, die auf den dunklen Wegen des Kapitalmarktes ihr Unwesen treiben, fehlen im Lande auf den Verbrauchermärkten. Zu große Summen wurden aus dem gesunden Kreislauf des Geldes herausgeschleudert. Die Märkte bluten aus.

Um die Probleme der Zeit zu lösen, wurde in den letzen Jahren das Sozialrecht beständig reformiert. Doch alle Reformen, die die Lobbyisten in den letzten Jahren durch das Parlament geschleust haben, waren, bei Licht besehen nur dazu angetan, die Wiedereinführung der Leibeigenschaft gesetzlich zu verankern.

Gegenwärtig scheint es, daß der Tag nicht mehr so weit entfernt ist, an dem eine Rolle Toilettenpapier mehr wert ist, als alle sozialen Rechte, die einmal das Zusammenleben in diesem Land geregelt haben.

Zum Schluß stellt sich die Frage: Wohin treiben wir? Wie lange wird es noch dauern, bis die Not, die entrechteten Menschen wieder einmal in den Wahnsinn treibt. Einen Wahnsinn, in dem die Marschierer in den vordersten Reihen, möglicherweise wieder dunkelrote Fahnen schwingen oder braune Hemden tragen werden?

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