Zurück zur Hauptseite

 

 

  Mehr Kinder — welche Zukunft?

 

 


Dieser Aufsatz wurde Ende Februar 07 per Email der Familienministerin Frau Ursula von der Leyen zugesandt. Er wurde nicht beantwortet.


Dies ist eine Betrachtung, zusammengesetzt aus der Welt, in der wir leben, und dem Bild, das sich über das tägliche Tun und den Reden der Bundes- und Landes-Politiker spiegelt.

Immer wieder hört man von Politikern, aber auch von Wissenschaftlern, daß in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden müßten. Das Kind in der Wiege sei der Käufer von morgen, es würde Steuern und Rentenbeiträge zahlen.

Die Worte klingen gut und hören sich an, als wollten sie dem kleinen Mann auf der Straße sagen: Wenn du auf deine alten Tagen eine Rente haben willst, dann mußt du heute mehr Kinder in die Welt setzen und ernähren.

Zugegeben von Bismarck bis vorgestern erbrachte diese Rechnung die gewünschten Resultate. In den letzten dreißig Jahren aber, haben neue Techniken das Fundament der bismarckschen Gesetze derart unterspült, daß es heute von Grund auf repariert werden muß, wenn es nicht in sich zusammenfallen soll.

Betrachten wir jedoch den Alltag, in dem wir leben unter dem Gesichtspunkt, ob ein größerer Zuwachs der Bevölkerung wirklich sinnvoll ist, müssen wir ein wenig zurück denken und zugleich die Gegenwart betrachten.

Wo gestern noch viele Leute ihr Geld mit Handarbeit verdient haben, steht heute eine Maschine, die von einem Computer gesteuert wird. Was gestern noch als Errungenschaft bestaunt und gelobt wurde, ist heute für viele Menschen der Zug in die Armut.

Europa wächst zusammen. Nationale Probleme sind europäische geworden. In diesem zusammen geschweißten Europa haben heute schon mehr als zehn von hundert Verdienern keine Arbeit. Und noch täglich überschlagen sich die Nachrichten: Hier sollen zehn, zwanzig, oder dreißig, dort sollen tausend, zwei tausend und mehr Arbeitnehmer entlassen werden. Hier soll, sich ein Betrieb gesundschrumpfen, dort wollen sich die Herrschaften, um ihren Schmerbauch noch einen Speckgürtel anlegen. Anzunehmen ist zu dem, daß in den Schubladen großer Betriebe noch viele Pläne schlummern, die einen weiteren Personalabbau zum Inhalt haben. Und wenn alle diese Pläne umgesetzt werden, kann sich jeder ausrechnen, wie es in den nächsten Jahren in Deutschland und in Europa um den Wert und das Auskommen einer Arbeitskraft bestellt sein wird. Da soll man sich auch nicht täuschen lassen, wenn gerade ein Strohfeuer am Horizont des Arbeitsmarktes flackert.

***

Schon seit Jahren versprechen die Politiker, für neue Arbeitsplätze im Lande sorgen zu wollen. Bedenkt man jedoch, daß in der gleichen Zeit vom Bund, den Länder und den Städten massenweise Arbeiter und Angestellte entlassen wurden, so haben sie sich mit diesem Versprechen selbst als Lügner entlarvt und lächerlich gemacht. Aber sie haben sich nicht nur lächerlich gemacht sondern auch versagt, als es galt nach Wegen zu suchen, um ein Abwandern vieler Betriebe, mit dem im Lande erarbeiten Gewinnen, zu verhindern.

Und wie es aussieht hat dieser Zug sein Ziel noch nicht erreicht. Die Behörden wollen weiterhin Ballast abwerfen, das große Kapital will riesige Gewinne machen, und die Technik läßt sich nicht aufhalten. Wo heute für einen neuen Arbeitsplatz Geld ausgegeben wird,
werden morgen an einer anderen Stelle drei Menschen ihre Arbeit verlieren.

Aber gerade in dieser Sache wäre es doch für die Regierung geboten gewesen, diesem Treiben entgegen zu wirken? Aber nein, statt dem abwandernden Kapital seine Grenzen zu zeigen, haben sie die die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, gnadenlos in die Armut gesteuert.


***

Wo immer es gut klingt, reden Politiker davon, daß sie dem Rechtsstaat verpflichtet sind.
Zudem steht im Grundgesetzt Artikel 20 geschrieben: Die Bundesregierung ist ein sozialer Staat, und in der Einleitung zum Grundgesetz finden wir die Worte: Soziale Gerechtigkeit heißt, daß jedem Bürger ein angemessener Lebensstandard gewährleistet is.

Als Anfang der siebziger Jahre die ersten Schulabgänger keine Arbeit und keine Lehrstelle fanden, und von der Schulbank auf die Straße gesetzt wurden, hatte die Regierung weder ein Konzept noch das nötige Geld, um diesen jungen Menschen auf dem Weg in das Leben unter die Arme zu greifen. Heute werden sie als Penner beschimpft, als Pack, das zu faul zum Arbeiten ist. Und verfolgen wir dieses Geschehen bis in unsere Zeit, so hat sich wenig daran geändert - im Gegenteil.

Die Aussage, mehr Kinder sichern die Zukunft, zahlen Steuern, und sichern die Rente, kann daher nur Wunschdenken und Zweckoptimismus sein - solange auch weiterhin junge Menschen in eine unbestimmte Zukunft hineinwachsen werden.

***

Was aber kann man tun oder könnte man wenigstens versuchen zu tun, wenn die Arbeit in einer Gemeinschaft knapp wird und das soziale Gefüge aus dem Ruder zu laufen droht? Erinnern wir uns: Im Krieg war alles knapp, Gleich im ersten Kriegsjahr gab es Lebensmittel nur noch auf Marken. Jeder bekam das gleiche. Als die Lebensmittel gegen Ende des Krieges knapp wurden, herrsche in allen Haushalten Schmalhansküchenmeister. Doch jeder hatte noch zu essen. Wirklich gehungert hat die Bevölkerung erst nach dem Krieg, als die "Schwarze Marktwirtschaft" das Zepter schwang. Für Geld bekam man alles.

***

Mehr Kinder? Mehr Menschen! Aber hier stellt sich auch die Frage: Kann die Erde sie morgen auch nähren? Wird morgen noch so viel auf ihr wachsen, daß alle zu essen haben? Nun, die vielen Bilder und Berichte vom Elend in dieser Welt sprechen eine eigene Sprache. Gewiß an vielen Orten waren Kriege die Ursache ihrer Not. Doch hungernde Menschen, verhungernde Kinder gehören zum Alltag vieler Länder dieser Erde. Und selbst in Chikago, im reichen Amerika, kann man nicht auf der Prachtstraße, der Michigan Avenue entlang schlendern, ohne auf Menschen zu treffen, die dir eine bittende Hand entgegen halten.

Zudem ist die Natur im Umbruch. In Afrika und auch in Spanien gibt es große Gebiete, in denen die Menschen seit Jahren auf Regen warten. Die Wüsten wachsen, die Gletscher schmelzen und die Meere steigen. Das Leben gefährdende Ozonloch über der Antarktis ist inzwischen so groß wie Süd- und Nordamerika zusammen. Alles Zeichen, die darauf hinweisen, dass der Lebensraum der Menschen auf Erden kleiner wird und sich die Natur gegen eine Überflußgesellschaft wehrt, die wahnbesessen ihre Schätze vergeudet. Ebenso könnten die zunehmenden Orkane, Sturmfluten, Erdrutsche und Überschwemmungen darauf hinweisen, daß die Natur sich rächt, wo der Mensch sie ausgeraubt und sträflich mißhandelt hat.

Gewiß, noch leben die meisten Menschen im westlichen Europa und im nördlichen Amerika in einem sträflichen Überfluß. Allein das Brot, das sie täglich wegwerfen, ist ein Vermögen wert.

Aber dies ist auch nur möglich, weil die Industriebauern gegenwärtig maßlos mit der Natur Schindluder treiben. Über das Getreide rollt die Giftspritze. Die Massentierhaltung, eine maßlose Tierquälerei, ist ohne Pharmazie nicht möglich. In den Regalen der Supermärkte findet man kaum noch Lebensmittel ohne chemische Substanzen.

Aber auch einer chemisch-pharmazeutisch durchsetzten Kost sind Grenzen gesetzt.
Ein Rückblick zeigt: Seit die Antibiotika die Massentierhaltung ermöglichen, seit über das hochgezüchtete Getreide die Giftspritzen wüten, weil es sich nicht mehr natürlich seiner Schädlinge erwehren kann, gehören Krebserkrankungen und Allergien vieler Art zu unserem Alltag — vor allem reagieren immer mehr Menschen allergisch auf Antibiotika.

Diese Beobachtung hat aber auch noch ein zweites Gesicht. Bewerten wir die Chemiekost als ein Übel, so müssen wir auch einsehen, daß der ökologische Landbau alleine die hungrigen Mäuler der Wohlstandsgesellschaft, nicht mehr stopfen kann. Ohne die Erzeugnisse der modernen Landwirtschaft liegt es nahe, daß auch bei uns Menschen hungern und die Ärmsten möglicherweise auch schon verhungern müßten.

Gewiß, wenn weltweit alle Menschen, die einiges mehr haben, als sie zum standesgemäßen Dasein benötigen, ein wenig bescheidener leben würden und weggäben, was sie nicht benötigen, könnte man viel Not lindern. Aber dieser Satz fängt mit einem 'Wenn' an und ist darum, wie alle Formulierungen dieser Art, nichts wert.

Kein Zweifel, unser Reichtum hängt an einem seidenen Faden. Der Wohlstand ist brüchig, wer achtlos den Brotknust auf den Müll wirft, geht blind durch das Moor. Ohne Chemie kann auch das reiche Europa seine Menschen nicht mehr nähren. Auch die Meere, die seit langem überfischt sind, sagen uns, daß die Kost des Menschen täglich knapper wird. Die Chemiekost aber ist da nur eine Notbrücke, die man nur begrenzt belasten kann.

***

Es sieht aus, als hat uns das moderne Leben, wie wir es in den Industriestaaten vergöttern, langsam aber sicher in eine Zwickmühle hinein manövriert. Leben wir so weiter, schließen die Augen und glauben, daß die Herren der Politik und der Wissenschaft es schon richten werden, geben wir dem Rad eine größere Schubkraft, das schon seit Jahren mit den an den Rand gedrückten Menschen unserer Gesellschaft bergab läuft. Am Ende dieser Talfahrt aber schlummern die Revolutionen, die Kriege und die Diktatoren.

Stemmen wir uns jedoch, bevor es zu spät ist, gegen den Trend der Zeit, um zu retten was noch zu retten ist, werden wir schmerzliche Schrumpfprozesse in Kauf nehmen müssen. Dies predigen zum Teil auch heute schon viele Politiker. Nur wenn sie glauben, und sie streben ja danach, daß der Arbeiternehmer diesen Schrumpfungsprozeß alleine zu tragen hat, dann gehen sie auf Wegen, auf denen sie selbst nur noch der totale Polizeistaat schützen kann.

Der Mensch hält sich für klug. Doch wenn er glaubt, er kann die Natur überlisten, wird er nur Scheinsiege erzwingen. Die Lebensräume aller Geschöpfe sind begrenzt. Bewegen sich mehr Lebewesen in einer Region als das Land nähren kann, oder nehmen sie sich mehr als ihnen zusteht, wie der Mensch, so weiß sie sich wohl zu wehren.

Man sieht, auch die Frage, ob die Erde noch mehr Menschen nähren kann, stellt die Politiker bloß, die da sagen, mehr Kinder sichern die Zukunft.

***

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, so steht es in der Bibel. Und so ist es wohl auch. Er braucht nämlich auch ein Stück Natur um sich herum, auf dem er sich frei bewegen kann, wenn sich in ihm ein gesundes Denken entwickeln soll.

Wir wissen, leben zu viele Ratten eingesperrt in einem zu kleinem Raum, werden sie verrückt, obwohl sie von Menschenhand reichlich gefüttert, wie in einem Schlaraffenland leben könnten. Den Tieren fehlt der natürliche Auslauf, das Suchen nach Futter. Sie haben keine Aufgaben mehr, sie langweilen sich. Die Folge ist: Ihr Trieb steigert sich unnatürlich, sie werden aggressiv, greifen einander an und fressen ihre Jungen.

Aber auch ein Hund, der niemals frei herumtollen konnte und ständig angekettet seine Tage fristen mußte, sieht in jedem fremden Wesen einen Feind, der sich seinem kleinen Reich auch nur auf Sichtweite nähert. Er bellt blindwütig, zerrt an seiner Kette und könnte er sich losreißen, würde er den Fremdling an die Kehle springen.

Auch in unserer Gesellschaft leben Menschen, die vom Alltag in ein Rattenschlaraffenland hineingedrängt wurden. Aber auch Kinder, die fast wie angekettet groß werden. Was aber aus Menschen werden kann, die in den Betonwüsten der Trabantenstädte und in den Problemstadtteilen leben müssen, dort aufwachsen, erleben wir alle Tage. Wandalismus überall, keine Wand, die nicht beschmiert ist, Straßenraub am hellen Tag. Kinder werden zu Tode gequält, Gruppen von Halbstarken schlagen sinnlos Passanten zusammen, immer mehr Einzelgänger laufen Amok.

Gewiß, es hat immer Menschen gegeben, die die biblischen Gebote und die nötigen Gesetze des Zusammenlebens mißachtet haben. Aber früher waren es letztlich doch Einzelfälle, heute sind sie ein gesellschaftliches Problem.

Und damit zeigt sich uns auch hier zwischen dunklen Wolken und Nebelschwaden ein ehernes Naturgesetz, das da heißen könnte: Jeder Mensch braucht, wenn er den anderen achten und seine Rechte respektieren soll, Arbeit und Einkommen. Das gibt seinem Denken und Tun einen Halt. Je größer der innere Halt des einzelnen Bürgers, umso stabiler die Gesellschaft, in der er lebt.

Hieraus abgeleitet wird man sagen können: Jeder junge Mensch, der in das Leben hinein wächst, möchte sich bestätigen, möchte sich bestätigt fühlen. Darum braucht ein Kind, das morgen ein nützliches Mitlied unserer Gesellschaft sein soll, heute ein gesundes Umfeld, in dem es aufwächst. Es braucht aber auch helfende Hände, die ihm beim Einstieg in das Berufsleben zur Seite stehen.

In den Betonwüsten unserer Trabantenstädte aber leben heute viele Kinder wie die Ratten ohne Auslauf, wie Hunde an ihren Ketten. Auf den Straßen wo früher noch Kinder spielen konnten, rasen heute die Autos. Die Spielplätze sind klein und monoton. Schon am zweiten Tag gibt es dort für die Kinder nichts Neues mehr zu entdecken. Und das Betreten der Rasenflächen rund um die Häuser ist ihnen verboten.

Wer es sich leisten kann, flieht so schnell wie möglich aus diesen Stadtteilen. Zurück bleiben jene, deren Einkommen gerade ausreicht, um zeitgemäß von der Hand in den Mund zu leben.

Raus aus die Stadt, ein eigenes Dach über den Kopf und ein kleines Stück Land, auf dem man sich frei bewegen kann, ist darum auch der Traum vieler Menschen. Das Umland einer Stadt oder eines Kirchspiels, auf dem Menschen auf kleinen und kleinsten Parzellen leben, ist heute an vielen Orten schon größer als der Ortskern vor fünfzig Jahren war. Und noch immer werden große Flächen am äußeren Rand der Orte als Bauland ausgewiesen. Doch jedes Stück Erde, das heute als Bauland verkauft wird, ist schon morgen ein Stück verlorenes Ackerland.

Dies war ein kleiner bescheidener Blick in die Welt in der wir leben. Und dieser Blick, der von keiner politischen Brille eingefärbt ist, läßt mich fragen: Ist es nicht naiv und zeitblind zu glauben, daß jeder junge Mensch, der die Schule zukünftig verläßt, auch eine Arbeit oder eine Lehrstelle findet? Ist es nicht naiv zu glauben, die Nahrung des Menschen sei auf der Erde unerschöpflich? Ist es nicht naiv zu glauben, man könne auch weiterhin bedenkenlos ein Stück Ackerland nach dem anderen zupflastern? Ist es nicht naiv zu glauben, man könne die untrüglichen Zeichen, einer Übervölkerung auf dieser Erde auch weiterhin unbeachtet lassen? Nun Optimismus erleichtert das Leben. Ein Zweckoptimismus jedoch, der die Realität mißachtet, ist gefährlich.

***

Politiker reden viel. Die Regierenden wollen stets das Beste, die Opponierenden wollen alles besser machen. Was aber notwendig zu tun ist, um das Zusammenleben in einer Gesellschaft möglichst gerecht zu gestalten, zerreden die Interessenvertreter.

Heute leben in Deutschland 11 Mio. arme Menschen. Menschen ohne Zukunft. Beiseite gestoßen und abgeschrieben von Politikern, die als Handlanger der freien Machtwirtschaft ein großes Wort sprechen und die neuen Beobachtungen von einer größer werdenden Unterschicht als Schwarzmalerei ab tun möchten.

Betrachtet man nun noch einmal das Bild, das sich über dem politischen Geschehen im Lande spiegelt, dann kann man nur beten, daß unsere Politiker nun eilig aus dem Bett steigen, in dem sie mit dicken Diäten gepolstert, die Zeit verschlafen haben. Denn sonst brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn eines Tages die dreißiger Jahre wieder vor der Tür stehen werden. Schon heute schwebt an vielen Orten die bange Frage zwischen dunklen Wolken hindurch: Ist Mecklenburg der Anfang unserer Zukunft?

Zurück zur Hauptseite