Zurück zur Hauptseite

 

 

  Brief an Peer Steinbrück

 

 

Diesen Brief, nun gekürzt, vorher inhaltlich ausführlicher, habe per Email an Herrn Steinbrück geschickt. Eine Antwort habe ich nicht erhalten. Ob er ihm zum Lesen vorgelegt oder gleich im Vorwege von seinen Helfern in den Papierkorb befördert wurde, ist mir egal. Was meine Leser jedoch dazu meinen, wie sie ihn bewerten, würde mich schon interessieren.

Kiel, den 31. 01. 2013

Sehr geehrter Herr Steinbrück,

erlauben Sie mir, Ihnen meine Gedanken zu Ihrer Aussage, 'ein Kanzler verdiene zu wenig', mitzuteilen.

Damit Sie meine Gedanken zur Sache verstehen, möchte ich mich kurz vorzustellen und Ihren und meinen beruflichen Werdegang vergleichen. Ich, bin Jahrgang 1934 und in den in sehr armen Verhältnissen am Rande eines asozialen Umfeldes, aufgewachsen. Schon als Kind habe ich täglich von Frühjahr bis in den Herbst in der Landwirtschaft arbeiten müssen.

Als Sie 1974 Ihr Studium beendet, stand ich bereits 25 Jahre im seemännischen Berufsleben, das fortwährend Tag- und Nachtarbeit verlangte. Ich hatte Steuern gezahlt, und mein Anteil am Wirtschaftswunder geleistet. Wieviel direkte und indirekte Abgaben ich bis dato gezahlt und wie groß mein Anteil am Gewinn der Unternehmen war, für die ich gearbeitet, manchmal auch geschuftet habe, ist nicht errechenbar. Doch ich bin sicher, daß auch ich meinen Teil dazu beigetragen habe, daß Sie bis zu Ihren 27. Lebensjahr ein sicherlich sorgenfreies Leben führen durften, ohne auch nur eine nennenswerte Leistung zum Sozialprodukt der Gemeinschaft erbracht zu haben.
Zur Untermauerung dieser Gedanken erwähne ich ein aus meinem Leben gegriffenes Beispiel. Als Schiffjunge auf einem kleinen Küstenschiff mußte ich bei schlechter Kost für den Eigner schuften und wurde letztlich auch noch um meinen geringen Verdienst betrogen. Einige Jahre später besaß der Eigner drei moderne Küstenschiffe. Somit kann ich doch sagen: Der Lohn, um den er mich betrogen, hat sicherlich zu seinem Wohlstand beigetragen, mit dem er mühelos das Jura Studium seines Sohnes finanzieren konnte.

Werten Sie es bitte nicht persönlich. Doch wäre es da nicht rechtens und sinnvoll, wenn Menschen die als Kostgänger des Steuerzahlers studieren durften, danach ihr Wissen zum angemessenen Wert, in die Volkswirtschaft einbringen würden, statt zu glauben ihr Studium berechtigt sie jährliche Einkommen zu fordern, die ein Großteil ihrer einstigen Miternährer in ihrem ganzen Leben nicht erarbeiten können.

Wohl wissend, daß die Farbskala des Lebens aus vielen Grautönen besteht, habe ich hier bewußt schwarz und weiß gemalt, um die Fakten sichtbar zu machen.

Hierzu einen weitere Gedanken: Was würde das Tun und das Mühen des Arztes nützen, wenn es keine Müllmänner gäbe, so daß die Ratten, die einst Überträger der Cholera Erreger waren, zu unserem festen Straßenbild gehören würden. Wenn auch die Arbeit eines guten Arztes mit einem gewissenhaften Müllfahrer nicht vergleichbar ist, so haben beide Arbeiten doch nur gemeinsamen ihren Wert. Ohne Müllmänner wären alle Mühen des Arztes,
letztlich eine Sisyphusarbeit.

Diese vergleichende Betrachtung wird Ihnen nicht gefallen. Doch ich versichere, die gewöhnlichen verbal primitiven Entgegnungen auf gesellschaftskritische Gedanken, die sich um das Wort ‚Neid' ranken, treffen mich nicht.

Vor Menschen, ganz gleich in welcher Position sie tätig sind, also auch vor Unternehmer, die selbst für ihr Unternehmen letztlich Tag und Nacht arbeiten, und die Arbeit ihrer Angestellten und Arbeiter zu schätzen wissen, habe ich großen Respekt und achte sie bewundernd. Die Halbgötter und Wichtigtuer jedoch, deren Bildung zum größten Teil Einbildung ist, die zudem glauben, es sei ihr angeborenes Recht sich ein großes Stück aus dem Sozialprodukt heraus zu schneiden, weil sie studiert haben, verachte ich und betrachte sie als Parasiten und Drohnen der Wirtschaft.

Zu Weihnachten bekam ich Ihr Buch ‚Unterm Strich' geschenkt. Noch kaute die Presse fleißig auf Ihre Nebeneinkünfte für Lesungen herum, die auch bei mir den Gedanken keimen ließen, diese Honorare könnten doch nachträgliche Vergütungen für vorher geleistete Gefälligkeiten sein. So begann ich mit gemischten Gefühlen zu lesen. Doch schon nach dem Überdenken einiger kritischer Absätze, die politische Bestrebungen, Entgleisungen und Irrungen schildern, und daß immer wieder nötige, sinnvolle Gesetze, von interessierten Gruppen unterlaufen werden, gefielen mir - ich war begeistert.

Mutig aber treffend werte ich auch, daß Sie mehre Male bestimmte Abgeordnete als die ‚zeitreichen' bezeichnen. Dazu gehören sicherlich auch, so denke ich, die Leute im Bundestag, die monatelang darüber gebrütet haben, um wieviel Euro die Hartz 4 - Zuwendungen erhöht werden müssen. Das Ergebnis war - allgemein empfunden - beschämend. Danach aber hoben sie einvernehmlich die Hand, um ihre eigenen Entgelte mit 300 Euro aufzustocken.
Allein diese Fakten nebeneinander gestellt, miteinander vermessen, erschüttern und ekeln zugleich. Zudem werfen sie die Frage auf: Wie halten es diese Herrn Abgeordneten mit dem Grundgesetz in dem es heißt: Vor dem Gesetz sind alle gleich, niemand …

Daß Sie zudem in diesem Buch die Bosse großer Banken nach einem Treffen in New York, als maßlos eingebildete und selbstgerechter Egozentriker bezeichnen, deren Tun und Denken keine gesellschaftliche Mitverantwortung erkennen lies, verdient Hochachtung.

Nachdenklich hingegen stimmten mich die Absätze , in denen Sie die Agenda 2010 als eine enorme Leistung der Regierung Schröder hervorheben. Im weiteren Verlauf des Buches aber zugeben, daß Sie unausgewogen war, und hier ergänze ich - spitz, aber nicht überspitzt gesagt - dem Raubtierkapitalismus der freien Machtwirtschaft alle Tore weit geöffnet haben, in dem sie die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, auf denen die Leibeigenschaft für große Teile der Arbeitnehmer wieder eingeführt werden konnte.

Zugegeben, das Verhältnis zwischen der Leistung und dem Lohn der Arbeit war in den Jahren 1975 -1990 in den mitteleuropäischen Ländern zum Teil aus den Fugen geraten. Aber statt die Waage in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen, was die Pflicht der Regierung und der Großverdiener im Bundestag gewesen wäre, haben sich die Gesetzgeber zum Handlanger der vom Raubtierkapitalismus gelenkten Lobbyisten erniedrigen lassen.

Kann man da nicht schon heute im Rückblick sagen: Dank der Agenda, sind große erarbeite Kapitalströme fehlgeleitet worden und haben der Volkswirtschaft einen enormen Schaden zugefügt, weil sie dem Verbrauchermarkt entzogen - und auf den Kapitalmarkt gelenkt wurden. Oder einfacher gesagt: Weil sie viele Arbeiter um ihre Arbeit und ihren gerechten Lohn beraubt und den Großverdienern als Zugabe in die Taschen geschoben wurden.

Doch dann verschlug es mir die Sprache als ich morgens im Radio hörte, daß sie gesagt haben, der Verdienst eines Kanzlers sei zu gering, gemessen an …

Und hier schlägt es dem Faß den Boden aus, oder genauer gesagt: Hier schießen Sie sich selbst ins Knie. Einkünfte die letztlich aus Privilegien und Standesdünkel resultieren sind volkswirtschaftlich gesehen ein Übel, weil sie, wie Sie selbst schreiben, dem Binnenmarkt das nötige Umlaufkapital entziehen. Dazu gehören sicherlich auch die Bezüge der Aufsichtsräte, die das unverantwortliche Niederwirtschaften der Geldhäuser, mit einem Achselzucken rechtfertigen und nun selbst als staatlichgeschützte Gauner, staatliche Hilfen für ihre Banken verlangen und auch erhalten. Gleich so sind die Gehälter vieler Sparkassenleiter zu werten, die bewußt mit gezielter Falschberatung (wie die Medien noch fast täglich berichten) 30 Milliarden Euro Rücklagen - wie einst die Kanzlerin mitteilte - von Kleinanlegern und Sparern in schlechte und auch wertlose Anlagen umgebucht und daran gut bis fürstlich verdient haben.

Aber gerade diese, nicht gerechtfertigten und volkswirtschaftlich gesehen, schädlichen Einkommen dieser Leute, die viele kleine Leute von der Straße auch im stillen Verbrecher nennen, sind Ihnen Beispiel und Wertmaß in der Aussage: Das Gehalt des Kanzlers sei zu gering. Nun, meine eigenen Beobachtungen: Wo das Negative als Beispiel und Rechtfertigung dient´, hat der Teufel gut lachen.

Bei Balzac las ich neulich: Hinter jedem großen Vermögen steht ein großes Verbrechen. Bundestagsabgeordneten mit großer Stimme und festem Listenplatz, sind Vermögend. Kann man daraus ableiten, das sie --- sind?

Sicherlich, die angeführte Betrachtung ist ein Standpunkt. Und jeder Strandpunkt, auch das sei gesagt, hat nur ein begrenztes Sichtfeld. Aber ich habe bewußt den Standpunkt eines einfachen Arbeiters gewählt und versucht möglichst gradlinig ohne Abschweifungen die Aussagen Ihres Buches, wie ich sie verstanden, und Ihre Worte 'der Kanzler verdiene zu wenig' von eben diesen Standpunkt aus zu beleuchten.

Sehr geehrter Herr Steinbrück, sie selbst halten sich zu Gute gerne ein offenes Wort zu sagen, und Sie schreiben: ‚Manchmal ist es zur Selbsterkenntnis hilfreich die Meinung Außenstehender zu hören' (zu lesen). Darum hoffe ich., daß Sie auch meine Gedanken in diesem Sinne werten.

Mit freundlichen Grüßen

Heinz Rehn


Zurück zur Hauptseite